14 März 2011

Aus der Katastrophe in Japan ließe sich sehr viel lernen

Kein Bericht in den Medien kann jemals, nicht einmal im Ansatz, jene Tragödie übermitteln, die über unzählige Menschen in Japan plötzlich hereingebrochen ist. Den Hauch einer Vorstellung gab vielleicht der Gesichtsausdruck und der Klang in der Stimme einer Mutter, die in völliger Verwirrtheit erzählte, wie ihr die Wassermassen des Tsunami ihr eigenes Kind aus den Händen rissen. Die Angst vor der Kernschmelze. Mangel an Trinkwasser, an Nahrungsmitteln, an Treibstoff – und Millionen leben ohne elektrischen Strom. Gleichzeitig warteten endlose Schlangen vor den Bahnhöfen, um am Montag morgen nach Tokio zur Arbeit zu fahren. Der Zugsverkehr war jedoch eingestellt.
Ohne die Leistungen der Wissenschaft der vergangenen Jahrzehnte in Frage zu stellen, so Mancher wundert sich doch immer wieder über die Überheblichkeit, mit der Risiken als akzeptierbar erklärt werden. Atomkraftwerke in erdbebengefährdeten Gebieten! Die Sicherheit sei unter allen Umständen gewährleistet. Wie oft haben wir derartige Äußerungen vernommen? Wo sonst sollte Elektrizität herkommen? Die moderne Welt kann ohne solcher nicht überleben. Und plötzlich passiert das Unerwartete, das Undenkbare. Ja, natürlich, mit einem Erdbeben dieser Stärke konnte niemand rechnen. Wirklich nicht, in einem Land, das fast täglich von leichten und mittleren Beben erschüttert wird? Während in zwei der Reaktoren die Kernschmelze möglicherweise schon eingesetzt hat, mussten auch andere, insgesamt vermutlich fünf, abgeschaltet werden. In unserer modernen Welt ist alles auf die regelmäßige Verfügbarkeit von Elektrizität ausgerichtet. Jeder hat es schon einmal erlebt. Der Strom fällt vorübergehend aus. Und plötzlich funktioniert nichts mehr. Nicht der Computer, kein Fernseher, kein Licht, kein Herd, kein heißes Wasser. Hält der Stromausfall über längere Zeit an, bleiben Bankschalter geschlossen, Lebensmittelläden, sofern sie über keinen Generator verfügen, Tankstellen können das Benzin nicht mehr hochpumpen. Selten, eigentlich fast nie, sind wir mit derartigen Problemen konfrontiert. Doch wenn es passiert, was dann?
Die Natur ist unberechenbar. Die meisten von uns sind in der glücklichen Situation, dass sie noch nie mit derart schrecklichen Katastrophen persönlich konfrontiert wurden. Zum Glück (für uns) passieren sie schließlich immer wo anders. In Thailand, in New Orleans, auf Haiti, in Chile, in Australien – und nun in Japan. Doch die Anfälligkeit unseres Systems ist überall, zumindest in den Industrieländern, die gleiche. Als die Menschen in New Orleans vom Hurrikan Katherina heimgesucht wurden, ob man in Japan, damals, wohl daran gedacht hat, dass Ähnliches, sogar Schlimmeres, auch im eigenen Land passieren könnte? Wer niemals außerhalb eines dieser modernen Staaten wie Deutschland, Frankreich, England, den USA oder auch Japan gelebt hat, kann sich vielleicht nicht einmal vorstellen, dass Leben auch ohne Stress und ohne maximaler Auslastung möglich ist. Man muss ja mit der Zeit gehen. Man muss konkurrenzfähig sein. Man muss Möglichkeiten nutzen. Und die letzten, die gegen diese Hetzjagd in unserer modernen Welt protestieren, sind jene fleißigen Menschen, die regelmäßig ihrer Arbeit nachgehen, um sich ihren vermeintlichen Wohlstand – bescheidenen Wohlstand, um es besser auszudrücken - zu erhalten. In den Medien werden die ersten Schätzungen geäußert, wie groß der entstandene Sachschaden sein könnte. Erst hieß es 25 Milliarden, dann 75 Milliarden, ein Sprecher von CNN sprach sogar von 100 Milliarden. Das teuerste Erdbeben aller Zeiten.
100 Milliarden. Was für eine Summe. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte das Forbes-Magazin die neuesten Schätzungen über die Privatvermögen der angeblich reichsten Männer der Welt. Der in Mexiko lebende Libanese Carlos Slim steht dort noch immer an erster Stelle. Mit 74 Milliarden. Gefolgt von Bill Gates mit 56 Milliarden. Diese beiden Männer zusammen könnten den Schaden aus eigener Tasche bezahlen und es würde ihnen noch immer mehr Geld übrig bleiben als sie und ihre Kinder und Enkelkinder jemals ausgeben könnten. Was für eine Relation.
Apropos Bill Gates. Weltweit finden sich Organisationen, die zu Spenden für die Opfer der Katastrophe aufrufen. Gibt es irgend eine Meldung von Unterstützung durch den Spendenfond von Bill & Melinda Gates oder von Warren Buffet oder von einem der anderen sogenannten Philanthropen?
Und im Umkreis von Tokio warten die Menschen verzweifelt auf den Zug, der sie zur Arbeit bringen soll, und der nicht fährt. Die Angestellten der Bahnhöfe raten, den Bus oder ein Taxi zu nehmen. Natürlich, die Arbeit darf nicht liegen bleiben. Eine Katastrophe ist über Japan hereingebrochen und solange nicht feststeht, was mit den Atomreaktoren noch passieren wird, weiß niemand, welche Ausmaße sie annehmen wird. Niemand weiß, wie viele Menschen bereits tot sind und wie viele noch sterben werden. Doch man steht Schlange vor dem Bahnhof und wartet auf den Zug. Es ist Montag. Die Arbeit kann schließlich nicht warten. In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Quelle: THE INTELLIGENCE

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