Unbequeme Zeitgenossen und Querdenker leben gefährlich in
Deutschland. Wer nicht aufpasst, landet als vermeintlich Wahnsinniger in
der Psychiatrie oder als angeblicher Straftäter im Knast. Der Fall
Gustl Mollath, der seit sieben Jahren in der Psychiatrie sitzt, sorgt
derzeit landauf, landab für Diskussionen. Doch es gibt noch weitere
Beispiele für offensichtliche Willkür.
Wenn eines nicht mehr allzu fernen Tages die bayerische
Justizministerin Beate Merk ihren Chefsessel im Münchner Justizpalast
räumen muss, dürfte sich mancher an ein denkwürdiges Interview erinnern,
das die CSU-Politikerin und frühere Oberbürgermeisterin von Neu-Ulm dem
ARD-Magazin Report Mainz Anfang November gab. Es ging um den Fall Gustl Mollath, der zu diesem Zeitpunkt bereits bundesweit Schlagzeilen machte und die Justiz im Freistaat einmal mehr in Bedrängnis brachte.
Merk antwortete stereotyp nach dem Motto: Ich habe alles gesagt. Und
wenn ich etwas nicht gesagt habe, dann hat niemand danach gefragt. Ihre
Körpersprache verriet ein hohes Maß an Unsicherheit. Und dem Zuschauer
drängte sich die Frage auf: Glaubt die Frau Ministerin eigentlich
selbst, was sie da in dürren Worten sagt? Dabei hatte sie noch Glück:
Die junge Interviewerin bemühte sich zwar um Hartnäckigkeit, wirkte aber
unstrukturiert und sortierte schon mal ihre Spickzettel.
Was hatte Beate Merk, von der es heißt, sie habe als Quotenfrau im
Ministerium ebenso wenig Freunde wie in der Partei, derart in die
Bredouille gebracht? Der Fall ist schnell erzählt: Der Nürnberger Gustl
Mollath hatte im Jahr 2003 seiner Frau und der HypoVereinsbank
vorgeworfen, in großem Umfang in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt zu
sein. Die Detailliertheit und innere Schlüssigkeit sprächen für die
Glaubwürdigkeit dieser Darstellungen, urteilt der renommierte Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate.
Die zuständige Nürnberger Staatsanwältin sah das damals offenkundig
anders. »Aus diesen unkonkreten Angaben ergibt sich kein Prüfungsansatz,
der die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würde«,
schrieb sie im Februar 2004. Doch damit war der Fall noch nicht erledigt. Mollath wurde vor Gericht gestellt, weil er
seine Frau geschlagen haben soll. Außerdem wurde ihm Sachbeschädigung
vorgeworfen. Gutachter attestierten ihm eine »paranoide
Wahnsymptomatik«. Seither lebt der heute 56-Jährige zwangsweise in der
Psychiatrie.
Nun aber zeigte sich, dass es offenbar doch Schwarzgeldgeschäfte der HypoVereinsbank gab. Mehr noch: Am 28. November durchsuchten
60 Polizisten, Staatsanwälte und Steuerfahnder die Münchner
Bankzentrale und zwölf weitere Gebäude des Geldinstituts. Offiziell ging
es um den Vorwurf, die Bank habe daran mitgewirkt, im Zusammenhang mit
Aktiengeschäften Steuern in Höhe von 124 Millionen Euro zu hinterziehen.
Der Bürger reibt sich verdutzt die Augen: Während die Behörden seit
einiger Zeit selbst bei kleinen Vergehen die Keule des Steuerstrafrechts
schwingen, klappte die Staatsanwaltschaft Nürnberg bei Verdacht auf
Steuerbetrug in Millionenhöhe einfach die Akten zu.
Spätestens nach dem verunglückten und im weiteren Verlauf
abgebrochenen Interview seiner Justizministerin erkannte offenkundig
auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer die Brisanz des
Themas – noch dazu wenige Monate vor den nächsten Landtagswahlen. Die
Justiz sei gut beraten, »den Fall noch einmal neu zu bewerten«,
ließ der bayerische Regierungschef verlauten. Und prompt kündigte die
Nürnberger Staatsanwaltschaft an, die Zwangsunterbringung Mollaths werde
noch einmal überprüft. Für Ministerin Merk ist Mollath jedenfalls kein Justizopfer,
sondern ein psychisch Kranker. Sollte ein Gutachter nun zu einer
anderen Einschätzung kommen, sähe sie keinen Grund, zurückzutreten.
Auch anderswo wird mit unbequemen Zeitgenossen nicht eben zimperlich umgegangen, wie der Fall des hessischen Landwirtschaftsmeisters Gottfried Glöckner zeigt. Er war einer der ersten, die in Zusammenarbeit mit dem Chemiekonzern Syngenta gentechnisch veränderten Mais
anbauten und verfütterten. Doch schon bald bereiteten ihm seine Rinder
große Sorgen. Viele bekamen Durchfall, einige starben, es kam zu
Totgeburten und Missbildungen bei Kälbchen. Glöckner ließ Futterproben
bei Syngenta untersuchen, doch von dort kam Entwarnung. Es sei alles in Ordnung, hieß es.
Gottfried Glöckner stellte eigene Untersuchungen an und fand heraus,
dass der mit dem Bazillus thuringensis infizierte Mais die natürlichen
Bakterien in den Kuhmägen abtötete. Folge: Die Tiere konnten nicht mehr
verdauen, bekamen Durchfall und starben.
Der Landwirtschaftsmeister berichtete im In- und Ausland über seine
Erkenntnisse, informierte Politiker und Verbände. Es dauerte nicht
lange, bis man ihn zum Schweigen bringen wollte. Zunächst habe der
Chemiekonzern Syngenta ihm Schadenersatz angeboten in Form von
Geld und Immobilien, berichtete Glöckner schon vor längerer Zeit auf
einer Veranstaltung im Chiemgau. Er habe jedoch diesem Versuch, ihn
mundtot zu machen, widerstanden.
Nun plötzlich geschahen seltsame Dinge. Seine Frau, mit der Glöckner
in Scheidung lebte, wechselte ihren Anwalt und beschuldigte aus heiterem
Himmel ihren Ex-Mann der »Vergewaltigung in der Ehe«, was diesem zwei
Jahre Haft einbrachte. Der Gefängnisdirektor habe ihm verraten, dass in
seinen Akten der Eintrag »Gentechnologiegegner« zu finden sei,
berichtete Glöckner. Als er wegen guter Führung vorzeitig aus dem
Gefängnis entlassen wurde, war sein Hof bereits versteigert.
Wer nicht pariert, geht in den Knast oder in die Psychiatrie. Alles
nur reine Zufälle? Was von dem Begriff des Zufalls zu halten ist, wissen
wir spätestens seit Voltaire. Zufall war für ihn »ein Wort ohne Sinn,
nichts kann ohne Ursache existieren«.
Quelle: KOPP VERLAG
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