
In der Süddeutschen Zeitung schreiben Detlef Esslinger und Heribert Prantl heute folgendes:
Das Argument Weselskys, "Wir lassen nicht über Grundrechte schlichten", klingt gut, ist womöglich aber hohl; jede Schlichtung entscheidet auch über die Auslegung des Grundrechts. Der Arbeitsrechtler Michael Kittner, ehemals Justitiar der IG Metall, kritisiert daher ein "autistisches Grundrechtsverständnis" der GDL. Sie missachte die Forderung des großen Senats des Bundesarbeitsgerichts von 1971, dass vor jedem Streik ein Schlichtungsverfahren stattfinden müsse. Fazit: Es könnte vor Gericht eng werden für die GDL.
Diese Bemerkung ist irreführend, weil sie über entscheidende Urteile
des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2010 hinweg geht, auf die sich die
GDL immer wieder und zurecht beruft. Das BAG schaffte in mehreren
Entscheidungen die jahrzehntelang geltende Regel der Tarifeinheit ab.
Seitdem gilt arbeitsrechtlich das Prinzip "Ein Betrieb – eine
Gewerkschaft" nicht mehr. Der Bahnvorstand missachtet diesen
Richterspruch aber konsequent und weigert sich, mit der GDL über
Tarifverträge für alle ihre Mitglieder zu verhandeln.
Es geht also nicht um die Frage von Macht oder ein wenig mehr
Kompromissfähigkeit, sondern schlichtweg darum, ob ein Arbeitgeber damit
durchkommt, geltendes Recht solange zu umgehen, bis der Gesetzgeber,
der auch noch Eigentümer des betroffenen Unternehmens ist, die
Rechtslage nachträglich und zugunsten der Arbeitgeberseite angepasst
hat. Die Frage lautet also, ob wir den Rechtsstaat achten oder es
vorziehen in einer Bananenrepublik zu leben, in der die tatsächlich
Mächtigen unter dem Applaus der Medien offenbar Gesetze bestellen und
bis zur Lieferung geltendes Recht biegen und brechen können.